Mathematik oder Pädagogik?

Ich lese in ZEIT online das Interview mit einer ehemaligen Schulleiterin in einer Hamburger „Stadtteilschule“. In einem Bildblock herausgestellt wird folgender Satz:

Die Ausbildung unserer Lehrer ist praxisfern: Schüler brauchen keine Fachgenies, sondern Pädagogen, die ihre Probleme verstehen.

Wie so oft ist das so zugespitzt formuliert, dass jeder zustimmen kann. „Fachgenies“ sind ganz offensichtlich in der Schule fehl am Platz. Ebenso wenig bestreitet jemand, dass Lehrer und Lehrerinnen die Probleme der Schüler verstehen sollten. Der Satz entlarvt sich damit als Meinungsmache, deren wesentliches Merkmal ist Sachverhalte zu unterstellen, die so nicht der Realität entsprechen. Stimmt man dem Satz zu, dann stimmt man auch der tendenziösen Botschaft zu, die ganz einfach lautet: Weniger Fachausbildung für Lehrer!

Nun versuchen wir es damit in Deutschland seit Jahren. Die Lehramtsausbildung für das Gymnasium entspricht inzwischen nur mit zusätzlichen Modulen einem Bachelor-Abschluss im Fach. Die Zulassungsarbeit kann durch eine Bachelorarbeit ersetzt werden. Im Vergleich dazu war es noch vor wenigen Jahren ohne Problem möglich, mit dem ersten Staatsexamen in die Promotion einzusteigen. In den anderen Schularten sieht es nicht besser aus. Fachinhalte wurden und werden dort bis auf das Schulniveau reduziert. Wurde die Schule dadurch besser? Nach Aussage derselben Kritiker unserer Lehramtsausbildung ist gerade das nicht der Fall. Sie empfehlen allerdings nur mehr von einer Medizin, die bisher auch nicht gewirkt hat.

Fragen Sie doch einmal einen beliebigen Schulleiter, was ihn an der real existierenden Schule am meisten bedrückt. Über zu große Fachkenntnisse des Lehrpersonals werden Sie da nichts hören. Im Gegenteil gibt es Schulleiter, die sich über mangelnde fachliche Professionalität von Referendaren beschweren. Das führt zu Ärgernissen mit Eltern und Probleme im Unterricht bis hin zur Notwendigkeit, die Klausuren dieser angehenden Kollegen nachkorrigieren lassen zu müssen. Die wirklichen Klagen der Schulleiter betreffen eher Schüler, Eltern und die Schulbehörde.

Nun ist gerade die veränderte Zusammensetzung der Klassen ein Argument der Pädagogen für mehr Pädagogik und weniger fachliche Ausbildung. Nutzt das etwas? Ich glaube nicht. Auch ich kann provokante Sätze formulieren und textuell herausstellen:

Es ist nicht hilfreich, nützliche Fachvorlesungen in Mathematik durch verkopfte Fachvorlesung in Pädagogik zu ersetzen.

Wir sollten allerdings von einer übermäßigen Konfrontation wieder ein wenig herunterkommen. Wir sind uns schließlich einig darüber, dass der Erfolg der Schule, und zwar nicht nur bei den unteren Schichten, zu wünschen übrig lässt. Die Kompetenzen in den MINT-Fächern ebenso wie die Lesekompetenzen, die ja ständig gemessen werden, sind im Schnitt unzureichend. Wir sollten uns auch einig darüber sein, dass ein Lehrer sowohl pädagogisch-didaktische, also auch fachliche Qualitäten haben muss. Ein guter Lehrer benötigt beides, und dazu noch menschliche Fähigkeiten, die man nicht antrainieren kann.

Ein guter Lehrer besitzt Sachkenntnis sowie pädagogische und didaktische Kompetenzen in gleichem Maße. Im optimalen Fall hat er auch besondere menschliche Qualitäten. 

Ich schlage erneut eine zweiphasige Ausbildung als Kompromiss vor, bestehend aus einer Fachausbildung in der ersten Phase und Ausbildung zum Lehrer in der zweiten Phase. Die Fachausbildung besteht aus einer Ausbildung zum Bachelor in den zu unterrichtenden Fächern, mit einem Fach als Hauptfach. Das gilt zumindest für die Lehrämter am Gymnasium. In der zweiten Phase werden dann Schulpraktika, pädagogische Inhalte und didaktische Module miteinander zu einem Master of Education verzahnt. Das erste Staatsexamen wird abgeschafft. Dieser Vorschlag wurde schon öfter gemacht, auch von prominenter Seite. Er scheiterte aber immer an universitären Lehramtsexperten, die glauben, einen Lehrer von der Schule direkt wieder in die Schule abholen zu müssen. Im Unterschied dazu glaube ich als Fachdozent nicht, bei der mich nicht betreffenden anderen Phase, der eigentlichen Lehramtsausbildung, hineinreden zu müssen.

Was die Lehrämter an Grund- und Hauptschulen angeht, so bin auch ich der Meinung, dass hier die Fachinhalte auf das Notwendigste zu reduzieren sind. Bei der Realschule allerdings ist die Lage kritischer zu sehen. Dies ist eine Schulart, für der sich zu viele Studentinnen und Studenten entscheiden, ohne allerdings die fachlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Unterricht mitzubringen oder zu erwerben. Der Überhang an Bewerbern ist hier so groß, dass eine fachliche Hürde nicht schaden kann. Derzeit machen etwas zehnmal mehr Kandidatinnen und Kandidaten einen Abschluss als Stellen zur Verfügung stehen. Ob man hier einen Bachelor vorsehen sollte, mag diskutierbar sein. Aber es muss klar sein, dass selbst an Realschulen ein Mathematiklehrer ein Mathematiker sein muss. Amateure richten zu viel Schaden an.

Ein Mathematiklehrer muss Mathematiker sein, kein Amateur. Er muss sich im Studium die Grundsätze seinen Faches angeeignet haben. Die lassen sich eben nur in Fachvorlesungen üben.

Schließlich möchte ich noch präzisieren, was ich unter „Fachinhalten“ verstehe. Keineswegs müssen das fortgeschrittene Forschungsinhalte des jeweiligen Fachs sein. Auch sind es nicht unbedingt die klassischen Inhalte ohne Rücksicht darauf, wie sich Fächer in der modernen Zeit wissenschaftlich wandeln. Und die Curricula der Bachelor in Mathematik sind in der Tat moderner geworden. Wo etwa Funktionentheorie und Algebra noch immer eine Hauptrolle spielen, ist das dem Lehramtsstudium und dem schriftlichen Staatsexamen geschuldet. Diese scharfe, aber unsachgemäße Akzentuierung würde mit dem obigen zweistufigen Modell sofort aufhören. Das ist übrigens ein weiterer Grund, warum sich selbst Fachvertreter gegen eine Reform des Lehramtsstudiums wenden.

Eine bessere Schule tut Not. Sie ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Die Lehramtsausbildung ist nur eine Facette des Problems. Vermutlich wird man ohne eine Aufwertung des Lehrerberufs nicht auskommen. Die erfolgreichen Länder vereinen strikte Zugangsprüfungen mit guter Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen. Vielleicht sollten wir ein wenig von ihnen lernen.

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